Jenseits des Verstehens


Gastvortrag von Frau Prof. Dr. phil.  Andrea Sabisch

Professur für "Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der ästhetischen Erziehung mit dem Schwerpunkt Didaktik der Bildenden Kunst in der Primarstufe und der Sekundarstufe I" am Fachbereich Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg

Donnerstag, den 23. Januar 2014 um 19.00 Uhr s.t.

»Jenseits des Verstehens - Forschung zur Bilderfahrung«

Bilder und Bildung haben nicht nur ähnliche etymologische Wurzeln. Die Bildwerdung hat etwas mit Bilderfahrung zu tun. Sie beginnt bei der Ausrichtung, dem Sehen und Angeblicktwerden durch Bilder, und ist nur ansatzweise in Sprache übersetzbar. Und doch scheinen in der Sprache Spuren auf, die auf Bildfindungen an den Grenzen des »Verstehens« verweisen.

Durch den Vortrag von Frau Prof. Sabisch konnten die Zuhörer/-innen einen intensiven Einblick in das Feld der Kunstpädagogischen Forschung erhalten. Zunächst stellte Frau Sabisch ihre Forschungsfrage und den dazugehörigen theoretischen Überbau vor. Sie erläuterte in welchem Verhältnis die visuelle Bildung zur Bildungstheorie im Allgemeinen steht, was visuelle Bildung mit der Phänomenologie Bernhard Waldenfels zu tun hat und was unter dem „responsiven Erfahrungsbegriff“ zu verstehen ist. Deutlich dargestellt wurde, dass bildungstheoretische Überlegungen in der Erziehungswissenschaft fast ausnahmslos auf Bildung als sprachbasiertes Selbst- und Weltverhältnis bezogen wird, eine Bildung als Bildung des visuellen Selbst- und Weltverhältnis unterrepräsentiert ist und daher ein Schwerpunkt ihrer eigenen Forschung darstellt. Sie stellte sich im Anschluss an Christoph Kollers Buch „Bildung anders denken“ die Frage, wie man lernen kann, die Welt anders zu sehen und zu denken, als man dies immer schon getan hat.

Den Einstieg zum theoretischen Teil des Vortrags fand sie über eine Arbeit von Olafur Eliason mit dem Titel „Co-Producing what you are seeing“ (als Video gezeigt), die u. A. den responsiven Charakter wie auch den aktiven Beitrag des Menschen im Bildungsprozess veranschaulichte. Zudem wurde bildhaft deutlich wie Bildung analog zur Bildwerdung ein aktiver Prozess ist. Anschließend referierte Frau Sabisch über das Erfahrungsmodell nach Waldenfels, der Erfahrung als Zusammenspiel von Widerfahrnis (Pathos) und Antwort (Response) sieht, wobei zwischen diesen beiden Polen eine Bruchlinie verläuft. Aus dieser Bildungstheorie leitete sie fünft Implikationen ab, die sie je ausführlich erläuterte.

Nach den theoretischen Ausführungen zeigte und kommentierte Frau Prof. Sabisch ihr empirisches Material, bestehend aus videografierten Interviewszenen und Versuchs-anordnungen. In den Versuchen wurden Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Jahrgangsstufen zwei Bilderbücher (Bildserien ohne jede textliche Begleitung) vorgelegt. In Kleingruppen schauten die Schüler/-innen die Bücher an und diskutierten darüber. Im Anschluss daran wurden die Gruppen von Frau Sabisch gezielt befragt. Anhand des Videomaterials aus dem sie im Laufe des Vortrags immer wieder kleine Ausschnitte zeigte, legte Frau Prof. Sabisch erste Analyse-Ergebnisse dar und machte darüber hinaus deutlich, dass die Forschungsarbeit noch am Anfang steht. Denn neben der inhaltlichen Forschung zur Bildrezeption und Wahrnehmung bei Schülerinnen und Schülern wird auch die Methode der Videografie und das Versuchssetting immer wieder reflektiert und hinterfragt.

Die anschließende Diskussion erfreute sich reger Beteiligung. Es wurden vertiefende Nachfragen zum Setting der Versuche gestellt, der theoretische Rahmen wurde nochmals diskutiert und auch die implizierten Forschungsfragen standen zur Debatte. Da kein abgeschlossenes und druckreifes Projekt vorgestellt wurde und durch das transparent geschilderte Vorgehen und die Darstellung der Genese einer Forschungsfrage, über die Theorie hin zum empirischen Feldversuch war der Vortrag sehr anschlussfähig, nachvollziehbar und motivierend für die Zuhörer/-innen.

Der Gastvortrag wurde von der Frauenbeauftragten der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie finanziert.

Catharina Schubach